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Klimaklagen als Unternehmensrisiko | Hengeler Mueller News
Dispute Resolution

Klimaklagen als Unternehmensrisiko

Die Zahl von Rechtsstreitigen im Zusammenhang mit dem Klimawandel hat in den letzten Jahren weltweit drastisch zugenommen. Daraus ergeben sich Prozess- und Haftungsrisiken für Unternehmen aus zahlreichen Branchen. Aufsichtsräte sollten sich des Risikos bewusst sein.

Was sind Klimaklagen?

Der Begriff der "Klimaklage" (oder englisch climate change litigation) wird im Allgemeinen als Oberbegriff für eine große Bandbreite von Gerichtsverfahren gebraucht, in denen der Klimaschutz eine Rolle spielt.

Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem Klimawandel sind ein aktuelles und ein globales Phänomen.[1] Während es erste Klimaklagen bereits Mitte der 1980er-Jahre gab, hat sich die Zahl der Klimaklagen seit Abschluss des Pariser Klimaabkommens 2015 drastisch erhöht. Allein zwischen 2020 und heute wurden weltweit etwa 500 Klimaklagen registriert – das ist ein Viertel der insgesamt in Datenbanken erfassten abgeschlossenen und laufenden Klimaklagen.[2] Ungefähr drei Viertel der in Datenbanken erfassten Klimaklagen stammen aus den USA.[3] Daneben sind Australien, Großbritannien und die EU Mitgliedsstaaten sowie zunehmend der sogenannte globale Süden Regionen, in denen eine signifikante Zahl von Klimaklagen beobachtet wird.[4]

Den Prototyp der Klimaklage gibt es nicht. Klimaklagen unterscheiden sich unter anderem in ihrer Zielrichtung, nach der Art von Klägern und Beklagten sowie nach den der Klage zugrundeliegenden Rechtsgrundlagen.

Ziele von Klimaklagen

Die mit Klimaklagen verfolgten Ziele sind vielgestaltig. Im Folgenden werden Klagen herausgegriffen, die die Vornahme klimaschonender oder -schützender Maßnahmen bzw. die Unterlassung klimaschädigenden Verhaltens zum Ziel haben sowie auf den Ausgleich von durch den Klimawandel verursachten Schäden zielen. Beide Klageziele fallen unter den im englischen Sprachraum herausgebildeten Klagegrund des failures to mitigate, also des Versäumnisses, dem Klimawandel etwas entgegenzusetzen.

Außen vor bleiben für Zwecke dieses Beitrags Klagen wegen des Vorwurfs der unzureichenden Vorbereitung auf mögliche Folgen des Klimawandels wie extreme Wetterereignisse (failure to adapt) und wegen des Vorwurfs, unzureichend oder falsch über Risiken im Zusammenhang mit dem Klimawandel zu informieren (failure to disclose), wozu Klagen wegen sogenannten Greenwashings gehören.

Klagen auf mehr Klimaschutz

Mit Abstand am häufigsten richten sich Klagen auf mehr Klimaschutz gegen Staaten. Eine Vorreiterrolle kommt dabei der Klage der niederländischen Nichtregierungsorganisation ("NGO") Urgenda gegen die Niederlande zu. Die niederländische Regierung hatte geplant, Emissionen bis 2020 um 17 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 zu senken. Urgenda verpflichtete mit einer im Jahr 2015 gemeinsam mit zahlreichen Bürgern erhobenen Klage die Niederlande demgegenüber, Emissionen bis 2020 um 25 Prozent zu senken. Die Kläger stützten sich dabei unter anderem auf ihre Menschenrechte. Das klagestattgebende Urteil wurde 2019 letztinstanzlich bestätigt.

In Deutschland verpflichtete das Bundesverfassungsgericht im März 2021 den deutschen Gesetzgeber dazu, das Klimaschutzgesetz nachzubessern. Das Gericht hielt die im Gesetz festgelegten Klimaschutzmaßnahmen nicht für ausreichend, um künftige Generationen vor den Risiken des Klimawandels zu schützen, und das Gesetz damit insoweit für verfassungswidrig. Das Urteil hat große Aufmerksamkeit erhalten, da das Bundesverfassungsgericht im Grundsatz eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates zum Schutz der Bürger vor den Gefahren des Klimawandels angenommen und Klimaschutz damit jedenfalls in gewissem Rah­men einklagbar gemacht hat.

Zunehmend versuchen Kläger auch Unternehmen im Wege privatrechtlicher Klagen dazu zu verpflichten, bestimmte Klimaziele zu erreichen. Das Bezirksgericht Den Haag verurteilte im Mai 2021 in einer aufsehenerregenden Entscheidung auf eine Sammelklage mehrerer Umweltverbände und tausender Privatpersonen den Öl- und Gaskonzern Shell in erster Instanz dazu, seine CO2-Emissionen bis 2030 im Vergleich zum Jahr 2019 um 45 Prozent zu reduzieren. Bemerkenswert ist, dass das Gericht nicht nur eigene CO2-Emissionen von Shell in den Blick nahm, sondern auch eine Best-Effort-Verpflichtung von Shell annahm, in Geschäftsbeziehungen mit Zulieferern und Endab­nehmern auf eine Redu­zierung von CO2-Emissionen hinzuwirken. Shell hat Berufung gegen das Urteil eingelegt.

Im Nachgang zu dem Shell-Urteil forderte die Anker-Klägerin aus dem Verfahren, die NGO Milieudefensie, 30 weitere Unternehmen wie die Airline KLM, die Bank ABN Amro und den Konsumgüterhersteller Unilever auf, einen Klimaplan vorzulegen, mithilfe dessen die Reduktion von CO2-Emissionen nachverfolgt werden kann.

In Deutschland wurden im Herbst 2021 vier Klagen eingereicht, die versuchen an die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts anzuknüpfen und ein Recht auf Klimaschutz auch im Verhältnis zu Unternehmen nutzbar zu machen. Die Klagen, die von der NGO Deutsche Umwelthilfe und von Greenpeace ausgehen, richten sich zum einen gegen BMW, Mercedes und Volkswagen und verlangen, dass die Automobilunternehmen den weltweiten Verkauf von Autos mit Verbrennungsmotoren bis 2030 einstellen bzw. ihre CO2-Emissionen reduzieren. Zum anderen soll der Gas- und Ölproduzent Wintershall Dea nach 2026 keine neue Erdgas- bzw. Erdöl-Förderung mehr beginnen.

Die Klage gegen Mercedes (Az. 17 O 789/21) hat das Landgericht Stuttgart am 13. September in erster Instanz abgewiesen. Das Gericht verwies zur Begründung auf die fehlende Absehbarkeit von Einschränkungen des Persönlichkeitsrechts der Kläger für den Fall der Fortsetzung des Vertriebs von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor. Zudem betonte das Gericht die verfassungsrechtliche Aufgabenverteilung zwischen Gesetzgeber und Gerichtsbarkeit, die es den Gerichten verbiete gesetzgeberische Entscheidungen an sich zu ziehen.

Das zeigt, dass Klagen nach deutschem Recht erheblichen Hürden begegnen. Das Gericht im Fall Shell stützte seine Entscheidung auf eine Generalklausel aus dem niederländischen Deliktsrecht. Nach der weitreichenden Generalklausel kann auch ein Verstoß gegen einen ungeschriebenen Sorgfaltsmaßstab (hier u. a. Erkenntnisse zum Klimawandel) eine Haftung gegenüber Dritten begründen. Das deutsche Deliktsrecht kennt keine derart weitgehende Generalklausel. Die Kläger müssen vielmehr darlegen, in einem nach § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechtsgut beeinträchtigt zu sein und dass die Beklagten diese Beeinträchtigung zurechenbar verursacht haben. Zudem können die beklagten Unternehmen einwenden, den Rahmen des geltenden Rechts einzuhalten.

Klagen auf Schadensausgleich

Die bekannteste Klage wegen bereits eingetretener Folgen des Klimawandels ist die Klage von Saúl Lliuya gegen RWE. Saúl Lliuya lebt in der peruanischen Stadt Huaraz unterhalb eines Gletschersees. Er behauptet, der Klimawandel habe eine zunehmende Gletscherschmelze verursacht, die zu einem erheblichen Anstieg des Wasserspiegels des Gletschersees geführt habe. Zum Schutz der Stadt Huaraz und des Hauses von Saúl Lliuya vor einer Überflutung seien Schutzmaßnahmen durchzuführen. Saúl Lliuya begehrt Feststellung, dass RWE sich anteilig an den Kosten der Schutzmaßnahmen beteiligt. In der Klage wird behauptet, der von RWE zu tragende Anteil müsse sich am Anteil der von RWE weltweit seit Beginn der Industrialisierung verursachten Treibhausgasemissionen orientieren, der wiederum 0,47 % betrage.

Das Oberlandesgericht Hamm sieht die Klage im Gegensatz zum erstinstanzlichen Gericht jedenfalls grundsätzlich als schlüssig an und ist in die Beweisaufnahme eingetreten. Ende Mai 2022 haben Beweisaufnahmetermine in Peru stattgefunden.

Es bleibt unter anderem abzuwarten, ob deutsche Gerichte den Nachweis einer naturwissenschaftlichen Kausalkette zwischen CO2-Emissionen, Klimawandel und Schadenseintritt akzeptieren werden und wie die Gerichte mit dem bereits erwähnten Einwand, dass der Emittent sich im Rahmen des geltenden Rechts verhalten hat, umgehen werden.

Adressaten von Klimaklagen

Noch immer am häufigsten sind verfassungsrechtlich geprägte Klagen gegen Regierungen und Staaten. Allerdings nehmen Klimaklagen gegen Unternehmen zu. Dabei sind nicht mehr nur Unternehmen aus der Branche der fossilen Brennstoffe betroffen. Auch Unternehmen aus anderen Branchen wie Verkehr, Lebensmittel und Landwirtschaft, Kunststoff und Finanzen stehen auf Beklagtenseite.

Klagerisiken müssen zudem global betrachtet werden. Die niederländische NGO Milieudefensie hat zum Beispiel verlautbart, Unternehmen mit einer gegebenenfalls nur kleinen Präsenz in den Niederlanden vor niederländischen Gerichten für ihre globalen Emissionen zur Verantwortung ziehen zu wollen.

Eine jüngste internationale Entwicklung sind Klimaklagen gegen Organmitglieder. Zum Beispiel nimmt die NGO ClientEarth in Großbritannien als Aktionärin im Wege einer sogenannten derivative action im Namen der Gesellschaft den Verwaltungsrat (Board of Directors) von Shell in Anspruch. ClientEarth wirft den Verwaltungsratsmitgliedern vor, ihre Pflicht zur Wahrung der Interessen des Unternehmens verletzt zu haben, weil sie keine Klimastrategie im Einklang mit den Zielen des Pariser Abkommens entwickelt und umgesetzt hätten.

Fazit

Klimaklagen gegen Unternehmen sind ein reales Risiko. Es wird erwartet, dass Klagen auf Schadensausgleich in Zukunft zum Beispiel mit Blick auf extreme Wetterereignisse und ihre Folgen wie Überflutungen, Hitzewellen und Waldbrände zunehmen werden. Klimaklagen bergen erhebliche Risiken für die Strategie eines Unternehmens sowie finanzielle und reputationelle Risiken. Der Aspekt des Klimaschutzes sollte bei der Beurteilung von Maßnahmen der Unternehmensführung daher stets mitgedacht werden. Das Vorhandensein eines Plans, wie ein Unternehmen einen angemessenen Beitrag zum Erreichen der Pariser Klimaziele leisten will (transition plan), kann dabei helfen, Klagerisiken zu begrenzen.

Dieser Beitrag ist auch in der Ausgabe 05/2022 von BOARD erschienen.


[1] Einen umfassenden Überblick über Klimaklagen weltweit geben die Datenbanken Climate Change Laws of the World des Grantham Research Insititute on Climate Change and the Environment der London School of Economics and Political Science unter https://climate-laws.org/, die derzeit rund 2.100 Fälle enthält, und die Climate Change Litigation Databases des Sabin Center for Climate Change Law der Columbia Law School unter http://climatecasechart.com/, die derzeit knapp 1.500 Fälle mit U.S. Fokus und etwa 615 Fälle weltweit zählen.

[2] Setzer/Higham, Global trends in climate change litigation: 2022 snapshot, Policy report, June 2022, S. 9.

[3] Ebenda.

[4] Ebenda.

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