Ein internationaler Trend in der Corporate Governance börsennotierter Unternehmen sind sogenannte Say-on-Climate-Beschlüsse. Diese zielen darauf, das Management zu ambitionierten Klimaschutzaktivitäten anzuhalten. Der maßgeblich von dem britischen Hedgefonds Manager Christopher Hohn in Verbindung mit dem von ihm geführten "The Children's Investment Fund Management (TCI)" ins Leben gerufenen "Say on Climate"-Initiative haben sich mittlerweile eine Vielzahl von institutionellen Investoren, Stimmrechtsberatern und NGOs angeschlossen. 55 führende institutionelle Investoren haben am 28.7.2021 das "Investor Position Statement – A call for Corporate Net Zero Transition Plans" veröffentlicht, in dem Unternehmen aufgefordert werden, (i) einen Plan zur Erreichung der Klimaneutralität zu veröffentlichen, (ii) einen Director zu benennen, der für die Umsetzung dieses Plans verantwortlich ist und (iii) den Investoren die Möglichkeit zu geben, jährlich über die Fortschritte bei der Umsetzung des Plans Beschluss zu fassen. Einen Fokus auf die EU legt die Institutional Investors Group on Climate Change, der sich mittlerweile mehr als 370 Mitglieder, insbesondere Asset Manager, aus 22 Ländern angeschlossen haben. Bereits 2021 hat eine Vielzahl von börsennotierten europäischen Unternehmen Say-on-Climate-Beschlüsse gefasst, unter ihnen Glencore, Iberdrola, HSBC, Nestlé, Royal Dutch Shell, TotalEnergies und Unilever. Eine große Zahl weiterer Unternehmen hat erstmals für 2022 derartige Hauptversammlungsvoten angekündigt. In Deutschland ist dieser Trend noch nicht wirklich angekommen. Es ist aber davon auszugehen, dass sich dies kurzfristig ändern wird, zumal die maßgeblichen institutionellen Investoren auch an deutschen Gesellschaften beteiligt sind und viele deutsche Unternehmen aus der Finanz- und Versicherungsbranche zu den Unterstützern der Initiative zählen.
Worum geht es beim Say on Climate?
Die Unternehmensleitungen erarbeiten einen Plan, in dem sie die kurz-, mittel- und langfristigen Ziele zur Reduzierung der eigenen klimaschädlichen Emissionen einschließlich des avisierten Zeitrahmens sowie die dazu vorgesehenen Maßnahmen und deren Kosten beschreiben (Climate Action Transition Plan). Über den Stand der Umsetzung und ggf. vorgenommene Plananpassungen ist jährlich zu berichten. Plan und Bericht werden der Hauptversammlung zur Beschlussfassung vorgelegt. Die Aktionäre haben so die Möglichkeit, die Klimaschutzbemühungen des Managements zu beurteilen und ihre (Miss-)Billigung auszudrücken. Der Beschluss ist unverbindlich, ähnlich dem Beschluss zum Vorstandsvergütungssystem (Say on Pay).
Nach deutschem Aktienrecht können Aktionäre einen solchen Beschluss nach überwiegend vertretener Auffassung nicht erzwingen. Über Geschäftsführungsangelegenheiten entscheidet die Hauptversammlung nur, wenn der Vorstand ihr die Maßnahme von sich aus zur Beschlussfassung vorlegt (§ 119 Abs. 2 AktG). Auch wenn die juristischen Details noch nicht abschließend geklärt sind, ist doch unstreitig, dass der Vorstand der Hauptversammlung auch sein Konzept zum Klimaschutz und einen jährlichen Bericht über den erreichten Stand zur unverbindlichen Billigung vorlegen kann. Entsprechend hat jüngst die renommierte Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (VGR) in ihrer Stellungnahme zum Entwurf eines Deutschen Corporate Governance Kodex 2022 vorgeschlagen, in den Kodex eine Anregung aufzunehmen, dass der Vorstand der Hauptversammlung seinen Plan zum Umgang mit klimaschädlichen Emissionen und deren Reduzierung sowie einen Bericht zu dessen Umsetzung jedenfalls dann zur Billigung vorlegen sollte, wenn Aktionäre dies verlangen, deren Anteil 5% des Grundkapitals oder den anteiligen Betrag von EUR 500.000 erreicht.
Nutzen für Investoren und Verwaltung
Was ist von dieser Entwicklung zu halten? Jedenfalls bis zum 24.2.2022 ist weitgehend anerkannt gewesen, dass der Klimawandel das existenzielle globale Thema unserer Zeit ist. Es ist offensichtlich, dass allein staatliche Maßnahmen zu seiner Bekämpfung nicht ausreichen, zumal die wesentlichen Emissionen durch Industrieunternehmen verursacht werden. Nimmt man die Äußerungen vieler institutioneller Investoren ernst, entsteht der Eindruck, dass die Bereitschaft, in Klimaschutz zu investieren, bei Investoren häufig größer ist als bei den Leitungsgremien der Unternehmen. Dieser Befund ist ökonomisch verständlich: Es dürfte unbestritten sein, dass Untätigkeit im Hinblick auf den Kampf gegen den Klimawandel volkswirtschaftlich wesentlich teurer ist als das frühzeitige Ergreifen beherzter Maßnahmen. Mikroökonomisch ändert dies allerdings nichts daran, dass die Kosten für Klimaschutz zunächst vom Unternehmen getragen werden, während der dadurch bewirkte Nutzen der Allgemeinheit zugutekommt. Für den Vorstand stellt sich damit die Frage, in welchem Umfang er mit dem Geld der Eigentümer in mitunter teure und Profitabilität und Gewinn mindernde Maßnahmen zum Klimaschutz investiert, obwohl sich diese Investitionen betriebswirtschaftlich möglicherweise nicht und jedenfalls nicht kurzfristig amortisieren. Der Fokus diversifizierter Investoren liegt demgegenüber nicht auf der Optimierung des Einzelinvestments, sondern des Gesamtportfolios. Ein Investor, der sowohl an einem Industrieunternehmen, das in Klimaschutzbemühungen investieren müsste, und an einem Versicherer, der unter den Risiken eines nicht bekämpften Klimawandels ökonomisch besonders zu leiden hätte, investiert ist, wird eher bereit sein, auf die Rendite bei einem seiner Portfoliounternehmen zugunsten von Klimaschutzinvestitionen zu verzichten.
Investoren werden die Möglichkeit, über Say-on-Climate-Beschlüsse der Hauptversammlung Einfluss auf die Klimaschutzbemühungen des Unternehmens nehmen zu können, begrüßen. Gleiches dürfte für das durch die Veröffentlichung konkreter Aktionspläne ermöglichte Benchmarking gelten. Aber auch für den Vorstand und den Aufsichtsrat ergeben sich Vorteile: In welchem Umfang der Vorstand Maßnahmen zum Wohl der Allgemeinheit ergreifen darf, die sich für das Unternehmen selbst ökonomisch nicht lohnen, ist nach wie vor nicht vollständig geklärt. Für die Verwaltung hat ein Say-on-Climate-Beschluss der Hauptversammlung den Vorteil einer unmittelbaren Rückkopplung mit den Eigentümern, die die wirtschaftlichen Folgen letztlich tragen. Zudem mindert die Billigung des eigenen (möglicherweise teuren) Klimaschutzplans persönliche Haftungsrisiken im Hinblick auf eine aus isolierter Unternehmenssicht ökonomisch potenziell unwirtschaftliche Verwendung des Gesellschaftsvermögens. Der administrative Zusatzaufwand für den Vorstand sollte allenfalls gering sein: Pläne zur Reduzierung des eigenen CO2-Ausstoßes und eine Erfolgsmessung der eigenen Bemühungen sind ohnehin unumgänglich und die handelsrechtlichen nichtfinanziellen Berichtserfordernisse umfassen gerade auch Umweltbelange. Der Vorstand hat aufgrund des unverbindlichen Charakters des Beschlusses auch keine Blockade seiner Bemühungen durch Anfechtungsklagen opponierender Minderheitsaktionäre zu befürchten.
Unverbindlich bedeutet allerdings nicht wirkungslos: Ähnlich wie bei Say-on-Pay-Beschlüssen werden die Verwaltungen das Votum der Hauptversammlung ernst nehmen, und zwar nicht erst dann, wenn der Vorschlag nicht die erforderliche Mehrheit findet. So hieß es kürzlich in den Medien, die UBS-Aktionäre hätten dem Verwaltungsrat auf der Generalversammlung am 6.4.2022 einen Denkzettel verpasst, weil sich nur 77,7 % der Aktionäre für den Klima-Aktionsplan der Schweizer Großbank ausgesprochen hätten. Einer Reihe von Aktionären gingen die Maßnahmen des Instituts nicht weit genug. Wichtig wäre allerdings, dass Say-on-Climate-Beschlüsse der Hauptversammlung und die ihnen zugrundeliegenden Berichte des Vorstands nicht zu einem aussagelosen, uniformen Formalismus werden, wie dies bei manchen gesetzlich verordneten Berichtserfordernissen zu beobachten ist. Durch das Erfordernis der Billigung haben es die Aktionäre aber in der Hand, dies zu verhindern.
Dieser Beitrag ist in ähnlicher Form am 14. Mai 2022 in Börsen-Zeitung erschienen.