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"Say-on-Climate"-Beschlüsse auf der Hauptversammlungsagenda | Hengeler Mueller News
Gesellschaftsrecht

"Say-on-Climate"-Beschlüsse auf der Hauptversammlungsagenda

Zunehmende regulatorische Anforderungen, aber auch die durch externe Stakeholder aufgebaute Erwartungshaltung verstärken den Druck auf Unternehmen, sich auf allen Ebenen intensiv mit der eigenen ESG-Strategie auseinanderzusetzen, diese fortzuentwickeln oder überhaupt erstmalig zu formulieren. Es ist vor diesem Hintergrund nicht überraschend, dass international seit einiger Zeit aus unterschiedlichen Richtungen Forderungen geäußert werden, auch die Hauptversammlungen börsennotierter Unternehmen in entsprechende Überlegungen mit einzubeziehen und den Aktionären das Recht zu verleihen, auf die Klimapolitik des Unternehmens Einfluss zu nehmen.

Der folgende Beitrag zeigt in aller Kürze nach einem Überblick über den Ausgangspunkt der Diskussion und die Zielsetzung entsprechender Initiativen auf, welche Rahmenbedingungen bei einem unter dem verkürzten Schlagwort "Say-on-Climate" diskutierten Hauptversammlungsbeschluss nach geltendem Recht zu beachten sind und welche Risiken – aber auch Chancen – die Befassung der Hauptversammlung mit Grundsatzfragen rund um die ESG-Positionierung der Gesellschaft haben kann.

Ausgangspunkt

Die in verschiedenen Ausprägungen als Teil der internationalen Bewegung hin zu mehr Nachhaltigkeit diskutierte Forderung, Hauptversammlungen börsennotierter Gesellschaften die Möglichkeit einzuräumen, ein sog. Say-on-Climate-Votum zu fassen, geht auf eine Initiative des britischen Hedgefonds Managers Christopher Hohn zurück. Die von ihm begründete Say-on Climate-Bewegung, hat sich zum Ziel gesetzt, Emissionen im Vergleich zum Stand 2010 bis zum Jahr 2030 um 50 % zu reduzieren und glaubwürdige Klimaaktionspläne in Unternehmen zu implementieren. Eine der Forderungen der Initiative – wenngleich vermutlich nicht die wichtigste – ist es, Gesellschafter stärker einzubinden und über zentrale Fragen der Klimastrategie der betroffenen Unternehmen abstimmen zu lassen. Ähnliche Wünsche nach einer stärkeren Einbindung von Aktionären werden etwa von der Institutional Investors Group on Climate Change (IIGCC) formuliert, die sich darum bemüht, Strategien für den Einsatz von Aktionärsbeschlüssen und anderen Maßnahmen zur Einbindung der Öffentlichkeit zu entwickeln. International haben zahlreiche Unternehmen ihre Klimastrategie bereits der Hauptversammlung vorgelegt. Teils wurden entsprechende Beschlüsse sogar gegen den erklärten Widerstand des Managements eingeholt.[1] Auch verschiedene Stimmrechtsberater befürworten ausdrücklich, dass Say-on-Climate-Beschlüsse gefasst werden sollen.

Gestaltungsspielraum für Unternehmen

Auch in Deutschland wurde die Forderung nach einer Einbindung der Hauptversammlung in ESG-Themen in jüngerer Zeit von unterschiedlichen Seiten aufgegriffen und in Literatur und Praxis unter verschiedenen Aspekten diskutiert. Soweit ersichtlich sind bisher in Deutschland indes keine Say-on-Climate-Beschlüsse von Hauptversammlungen deutscher börsennotierter Unternehmen gefasst worden. Vielmehr spielen Nachhaltigkeitsthemen auf Hauptversammlungen bisher eine eher untergeordnete Rolle. Allenfalls als Teil der allgemeinen Berichterstattung durch die Verwaltung kommen ESG-Strategien zur Sprache. Auch bei der Beschreibung des Vergütungssystems gehen Unternehmen vereinzelt detaillierter auf ihre Nachhaltigkeitsstrategie ein, wenn variable Vergütungsbestandteile an das Erreichen bestimmter ESG-Ziele anknüpfen. Im Übrigen findet eine formelle Beschlussfassung über die Nachhaltigkeitsstrategie – oder spezifischer: über Klimafragen – bisher in der Praxis in Deutschland nicht statt.

Ein möglicher Hintergrund für die bisher zu verzeichnende Zurückhaltung, die Hauptversammlung über die Klimastrategie der Gesellschaft abstimmen zu lassen, mag das strenge aktienrechtliche Kompetenzkorsett sein. So liegt die Zuständigkeit für die strategische Ausrichtung der Gesellschaft innerhalb des durch die Satzung vorgegebenen Unternehmensgegenstandes nach der Grundkonzeption des Aktiengesetzes primär in der Verantwortung des Vorstands, der dabei vom Aufsichtsrat beraten und überwacht wird. Die Hauptversammlung soll mit Fragen der Geschäftsführung nur in wenigen Sonderkonstellationen, etwa beim Abschluss von Unternehmensverträgen oder der Zustimmung zu Umwandlungsmaßnahmen, befasst werden. Wenn Beschlussfassungen durch die Hauptversammlung vorgesehen sind, sind diese dem gesetzgeberischen Grundgedanken nach als bindende Beschlüsse ausgestaltet, die der Vorstand in der Folge umsetzen muss, was in der Regel einen gewissen Bestimmtheitsgrad der Beschlüsse voraussetzt. Erst seit Einführung des nicht bindenden Say-on-Pay-Votums sieht das Aktiengesetz für die Beschlussfassung über das Vergütungssystem eine rein konsultative Entscheidung der Hauptversammlung vor, die nicht mit einem konkreten Handlungsauftrag an Vorstand und Aufsichtsrat der Gesellschaft einhergeht und damit eher faktische Lenkungswirkung entfaltet. Die dafür in § 120a AktG enthaltene Regelung lässt sich als Spezialvorschrift nicht auf Say-on-Climate-Beschlüsse übertragen.

Nach geltendem Recht bleiben somit die regulären Möglichkeiten der Hauptversammlungsbefassung. Eine bei börsennotierten Gesellschaften traditionell eher selten genutzte Möglichkeit zur Durchbrechung der klaren Zuständigkeitsverteilung zwischen Vorstand und Hauptversammlung ist es, der Hauptversammlung Maßnahmen der Geschäftsführung nach § 119 Abs. 2 AktG vorzulegen. In der Praxis wird von dieser Möglichkeit insbesondere dann – und häufig nur im nicht börsennotierten Umfeld – Gebrauch gemacht, wenn es sich um besonders kritische Maßnahmen handelt, die der Vorstand nicht ohne die ausdrückliche Unterstützung der Hauptversammlung entscheiden möchte. Verbunden ist die Befassung der Hauptversammlung in diesen Fällen in der Regel mit der Erwartung, dass bei der Umsetzung ordnungsgemäß gefasster Hauptversammlungsbeschlüsse die persönliche Haftung der Gremienmitglieder reduziert, wenn nicht ganz ausgeschlossen ist. Ob auch reine Konsultationsbeschlüsse unter § 119 Abs. 2 AktG der Hauptversammlung – a majore ad minus - zur Beschlussfassung vorgelegt werden dürfen, ist umstritten, im Ergebnis aber wohl zu befürworten.

Eine Beschlussfassung über die Klimastrategie der Gesellschaft – oder ggf. sogar weitergehender insgesamt über ihre Nachhaltigkeitsstrategie – auf Vorschlag des Vorstands nach § 119 Abs. 2 AktG ist vor diesem Hintergrund grundsätzlich möglich. Bisher jedenfalls in den Details ungeklärt ist allerdings, welche rechtlichen und tatsächlichen Folgen ein entsprechender Hauptversammlungsbeschluss hat. Insbesondere dann, wenn der Vorstand eine ambitionierte Nachhaltigkeitsstrategie verfolgt, die auf Kosten der Profitabilität der Gesellschaft geht, kann eine Beschlussfassung der Hauptversammlung für den Vorstand der Gesellschaft – und mittelbar auch für den Aufsichtsrat – persönliche Haftungsrisiken reduzieren. Der Vorstand kann auf diese Weise inzentiviert werden, ehrgeizige Ziele auszurufen und umzusetzen. Umgekehrt kann natürlich auch ein zurückhaltender Klimaschutzplan auf diese Weise von der Hauptversammlung "ratifiziert" werden und darüberhinausgehende Ambitionen auf diese Weise nachhaltig verhindert werden. Bei der Abwägung und Entscheidung darüber, ob ein Say-on-Climate-Beschluss im Interesse der Gesellschaft und ihrer Stakeholder ist, sollte der Aufsichtsrat den Vorstand beraten. Dem Nachhaltigkeitsexperten im Aufsichtsrat kommt dabei naturgemäß eine besondere Bedeutung zu.

Richtigerweise sollte eine lediglich zur Konsultation vorgelegte Beschlussfassung jedenfalls nicht dazu führen, dass der Vorstand später in allen Details an die beschlossene Strategie gebunden ist. Dem Vorstand muss es vielmehr weiterhin möglich sein, auch unterjährig ohne erneute Beschlussfassung (ggf. in Abstimmung mit dem Aufsichtsrat) Ziele und Strategien an neue Entwicklungen anzupassen und sich insoweit über eine beschlossene Strategie auch hinwegzusetzen. Ob diese Flexibilität bei einer Beschlussfassung nach § 119 Abs. 2 AktG tatsächlich gegeben ist, ist noch nicht bis ins letzte Detail ausgeleuchtet.

Gestaltungsspielraum für Aktionäre

Wenn der Vorstand Say-on-Climate-Themen nicht von sich aus auf die Agenda bringt, sieht das geltende Aktienrecht derzeit noch kein ausgefeiltes System vor, das es Aktionären ermöglichen würde, entsprechende Beschlüsse auf die Tagesordnung zu bringen. Nach ganz überwiegender Auffassung in der Literatur kann ein Hauptversammlungsbeschluss nach § 119 Abs. 2 AktG nicht im Wege etwa eines Tagesordnungsergänzungsverlangens erzwungen werden. Alternative Anknüpfungspunkte – denkbar etwa in Form von Ergänzungsverlangen zur Änderung der Satzung (z.B. Ergänzung bestimmter Nachhaltigkeitsziele im Unternehmensgegenstand) oder des Vergütungssystems (Nachhaltigkeitsziele) – sind vergleichsweise "invasiv" und werden in der Regel den verfolgten Zweck einer gemeinsam beschlossenen Strategie nicht erreichen. Auch eine Verweigerung der Entlastung mit der Begründung, dass die Klimastrategie nicht der Hauptversammlung vorgelegt wird, wird das gewünschte Ziel kaum erreichen.

Damit bleiben Aktionäre nach überwiegender Meinung derzeit im Wesentlichen darauf angewiesen, über Fragen auf der Hauptversammlung ESG-Themen zum Gegenstand der Generaldebatte zu machen, ohne konkrete Beschlussfassungen erzwingen zu können.

Fazit

ESG in all seinen Facetten wird auch das deutsche Aktienrecht und die Corporate Governance deutscher börsennotierter Unternehmen weiter formen und über kurz oder lang spürbar modifizieren. Schon jetzt scheint absehbar, dass auch in Deutschland Beschlussfassungen über die ESG-Strategie von Unternehmen – oder spezifischer die Klimastrategie – auf die Tagesordnung von Hauptversammlungen kommen werden. Wenn es gelingt, über entsprechende Beschlussfassungen eine breite Zustimmung für eine bestimmte ESG-Strategie zu erlangen, kann dies für den Vorstand (und mittelbar auch für den Aufsichtsrat) entlastend wirken und gleichzeitig ein deutliches Zeichen gegenüber Dritten setzen, dass bestimmte Ziele Teil der erklärten Unternehmensstrategie sind. Der Aufsichtsrat sollte darauf hinwirken, dass der Vorstand entsprechende Vor- und Nachteile eines Say-on-Climate-Beschlusses sorgfältig abwägt.

Perspektivisch wird sich der Gesetzgeber mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob auch für Say-on-Climate-Voten – und gegebenenfalls für darauf gerichtete Ergänzungsverlangen – eine ausdrückliche gesetzliche Regelung geschaffen werden sollte. Die Umsetzung der Corporate Sustainability Reporting Directive mag dafür der geeignete Anlass sein, wenn gleichzeitig auch andere nachhaltigkeitsbezogenen Minderheitenrechte im Aktiengesetz etabliert werden müssen.

Dieser Beitrag ist auch in der Ausgabe 05/2022 von BOARD erschienen.


[1] Zu konkreten Fallbeispielen (Exxon u.a.) vgl. Döding, AG 2021, R249.; ausführlich Jaspers, AG 2022, 145, 149.

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