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Bundesregierung gibt grünes Licht für CETA-Investitionsschutzgericht | Hengeler Mueller News
Dispute Resolution

Bundesregierung gibt grünes Licht für CETA-Investitionsschutzgericht

Bei Abschluss des Comprehensive Economic and Trade Agreement zwischen der EU und Kanada (CETA) im Oktober 2016 hätte wohl niemand geahnt, dass die Ratifizierung des Abkommens im Jahr 2022 noch immer nicht beendet wäre. Am 01.07.2022 ist nun aber eine aus deutscher Sicht wichtige Hürde genommen worden: Das Bundeskabinett hat einen Gesetzentwurf zur Ratifizierung des Handelsabkommens beschlossen. Das Ratifizierungsgesetz soll noch vor der parlamentarischen Sommerpause durch die Koalitionsfraktionen in den Bundestag eingebracht werden. Das parlamentarische Verfahren soll bereits im Herbst abgeschlossen werden.

Das CETA-Abkommen ist bereits im September 2017 vorläufig in Kraft getreten. Damit finden schon jetzt diejenigen Teile des Abkommens Anwendung, die unzweifelhaft in die ausschließliche Zuständigkeit der EU fallen. Dazu zählen insbesondere die Regelungen zu Zollerleichterungen, zum Schutz des Geistigen Eigentums und die Gründungsrechtsanknüpfung im internationalen Gesellschaftsrecht. Dagegen sind andere wichtige Teile des Abkommens noch nicht anwendbar, einschließlich des Kapitels zum Investitionsschutz. Damit das CETA-Abkommen vollständig in Kraft tritt, muss es von den Parlamenten aller EU-Mitgliedsstaaten, der EU und Kanada ratifiziert werden. Bislang erfolgte die Ratifizierung in 15 EU-Mitgliedsstaaten. Demgegenüber hat sich unter anderem auch Deutschland bisher nicht zu einer Ratifizierung durchringen können. Grund dafür sind insbesondere die umstrittenen Investitionsschutzregeln.

Sprungbrett zu einem multilateralen Investitionsschutzgerichtshof?

Mit dem CETA-Abkommen soll das in den 1980er Jahren eingeführte Investor-Staat-Schiedsverfahren modernisiert und in das 21. Jahrhundert überführt werden. Als Streitbeilegungsmechanismus für Investor-Staat-Konflikte (Investor-State Dispute Settlement, ISDS) sieht das Abkommen eine neuartige Hybridlösung vor, die Elemente aus der traditionellen Investitionsschiedsgerichtsbarkeit mit klassisch staatlichen Gerichtsstrukturen vereint: Nach dem CETA-Abkommen sollen unabhängige, unparteiliche und ständige Investitionsschiedsgerichte eingerichtet werden. Diese sollen mit 15 ständigen Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter, jeweils fünf aus der EU, aus Kanada und aus Drittstaaten, besetzt sein und in einer Kammerbesetzung mit drei Schiedsrichterinnen und Schiedsrichtern entscheiden. Dabei soll die Zusammensetzung der Kammern nach dem Zufallsprinzip erfolgen. Als weitere Neuerung sind eine Berufungsinstanz sowie mehr Transparenz durch öffentliche mündliche Verhandlungen und die Veröffentlichung von Schriftsätzen vorgesehen. Die Einrichtung des ISDS-Mechanismus ist zudem nur der erste Schritt: Perspektivisch sieht CETA die Einrichtung eines multilateralen Investitionsschutzgerichts vor, welches auch über weitere Handelsabkommen entscheiden können und jedem Land uneingeschränkt zum Beitritt offenstehen soll. Vorschläge für ein entsprechend reformiertes Streitbelegungsverfahren beinhalten bereits Investitionsschutzabkommen der EU und der EU-Mitgliedstaaten mit Singapur und Vietnam sowie die Freihandelsabkommen mit Mexiko und Chile. Zusätzlich hat die EU jüngst die seit 2018 laufenden Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Neuseeland erfolgreich abgeschlossen, die ebenfalls ein solch reformiertes Streitbelegungsverfahren beinhalten.

Die Rechtskonformität der in dem CETA Abkommen angelegten Struktur war und ist keineswegs zweifelsfrei. Der EuGH hatte sich in der Vergangenheit in Fällen, in denen im Raum stand, dass ein anderes Gericht eine Auslegung europäischen Rechts durchführen könnte, zurückhaltend gezeigt und der Autonomie des Unionsrechts sowie seinem Auslegungsprimat stets einen hohen Stellenwert eingeräumt. Zu denken ist hier nur an die ablehnende Entscheidung des EuGH zum möglichen Beitritt der EU zur Europäischen Menschenrechtskonvention aus dem Jahr 2014 sowie die Achmea-Entscheidung des EuGH aus dem Jahr 2018, wonach Investitionsschiedsgerichte zwischen EU-Mitgliedstaaten als unionsrechtswidrig erachtet wurden. In einem Gutachten aus dem Jahr 2019 billigte der EuGH jedoch – für manche überraschend – den in CETA vorgesehenen Ansatz für Investitionsstreitigkeiten und ebnete damit einer Umsetzung des Abkommens den Weg. Eine letzte juristische Hürde für den CETA-Investitionsschutzmechanismus könnte nun noch in Karlsruhe liegen: Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss aus dem März 2022 entschieden, dass die vorläufige Anwendung von CETA nicht gegen das Grundgesetz verstößt. Dabei hat es allerdings offengelassen, ob dies auch für das CETA-Gerichtssystem gilt.

Kabinettsbeschluss als Impuls für andere EU-Mitgliedstaaten?

Die Bundesregierung hat bereits erklärt, keine Neuverhandlungen des Abkommens verlangen zu wollen. Allerdings wolle sie in Gesprächen auf EU-Ebene und mit der kanadischen Regierung darauf hinwirken, dass es eine Interpretationserklärung zum Investorenschutz gibt. Hiermit soll sichergestellt werden, dass bestimmte CETA-Investitionsschutzstandards weiter präzisiert werden und eine missbräuchliche Anwendung der materiell-rechtlichen Schutzstandards verhindert wird. Außerdem wird sich die Bundesregierung für Verbesserungen bei der parlamentarischen Beteiligung einsetzen. Das Ratifizierungsverfahren soll hierdurch aber nicht unterbrochen werden.

Letztlich fehlt neben der Zustimmung Deutschlands auch noch die Zustimmung aus elf weiteren EU-Mitgliedstaaten, sodass sich mit dem Beschluss des Bundeskabinetts zunächst nichts ändern wird. Die Entscheidung der Bundesregierung stellt nichtsdestotrotz einen wegweisenden Schritt hin zu einem neuen EU-Investitionsschutzsystem und der weitergehenden rechtlichen Absicherung von Auslandsdirektinvestitionen dar – nicht nur im Verhältnis zu Kanada. Gerade grenzüberschreitend und transatlantisch operierende Unternehmen dürften dies mit großer Aufmerksamkeit beobachten.

 

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