Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 27. Juli 2023 entschieden, dass in Intra-EU-Streitigkeiten zwischen einem Mitgliedstaat und einem Investor ein Antrag nach § 1032 Abs. 2 ZPO gegen unter Art. 26 des Energie-Charta Vertrags (ECT) eingeleitete ICSID-Schiedsverfahren zulässig ist (BGH, Az. I ZB 43/22, I ZB 74/22 und I ZB 75/22).
Divergierende Entscheidungen der Instanzgerichte
Antragsteller in den drei parallel entschiedenen Verfahren war jeweils ein EU-Mitgliedsstaat, der seine Wind- und Solargesetzgebung geändert (I ZB 43/22) bzw. einen Ausstieg aus der Kohleverstromung (I ZB 74/22 und I ZB 75/22) beschlossen hat. Die Antragsgegnerinnen, in jeweils anderen EU-Mitgliedsstaaten ansässige Unternehmen, sahen sich durch die Gesetzesänderungen in ihren Investitionen geschädigt und leiteten auf Grundlage von Art. 26 ECT ICSID-Schiedsverfahren ein. Gestützt auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in den Rechtssachen Achmea (C-284/16) und Komstroy (C-741/19) beantragten die Mitgliedsstaaten beim Kammergericht bzw. dem Oberlandesgericht Köln nach § 1032 Abs. 2 ZPO Feststellung der Unzulässigkeit des Schiedsverfahrens.
Das Kammergericht wies den Antrag nach § 1032 Abs. 2 ZPO als unzulässig zurück (Az. 12 SchH 6/21). Nach Art. 41 Abs. 1 des ICSID-Übereinkommens entscheide das angerufene ICSID-Schiedsgericht selbst abschließend über seine Zuständigkeit und die Wirksamkeit der Schiedsabrede. Eine Überprüfung der Zulässigkeit des Schiedsverfahrens durch nationale Gerichte sei ausgeschlossen.
Das Oberlandesgericht Köln kam in zwei parallelen Verfahren zum gegenteiligen Ergebnis (Az. 19 SchH 14/21 und 15/21). Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH hielt es die entsprechenden Anträge des Mitgliedstaats nach § 1032 Abs. 2 ZPO für statthaft und auch für begründet.
BGH bejaht die ausnahmsweise Zulässigkeit und Begründetheit der Anträge nach § 1032 Abs. 2 ZPO
Der BGH bestätigte die Auffassung des Oberlandesgerichts Köln. Er entschied, dass Intra-EU-Investor-Staat-Schiedsverfahren nach dem ICSID-Übereinkommen in Verfahren nach § 1032 Abs. 2 ZPO für unzulässig zu erklären sind.
Die grundsätzliche Sperrwirkung des ICSID-Schiedsverfahrens gegenüber der Kontrolle durch staatliche Gerichte gelte aufgrund des vorrangigen Unionsrechts ausnahmsweise nicht bei Intra-EU-Investor-Staat-Schiedsverfahren. Schiedssprüche in ICSID-Schiedsverfahren im Intra-EU Kontext müssen durch staatliche Gerichte überprüfbar sein. In dem Verfahren nach § 1032 Abs. 2 ZPO könne diese Überprüfung bindend vorweggenommen werden.
Der BGH hält die Anträge auch in der Sache für begründet. Nach der Rechtsprechung des EuGH sei die Schiedsklausel aus Art. 26 ECT wegen Verstoßes gegen Art. 267, 344 AEUV unwirksam und das auf dieser Grundlage eingeleitete Schiedsverfahren unzulässig.
Unionsrecht zwingt zur Ausnahme von der Sperrwirkung des ICSID-Übereinkommens
Mit den Beschlüssen hat der BGH bestätigt, dass die Achmea-Rechtsprechung des EuGH auch ICSID-Schiedsverfahren entgegensteht. Er hat zudem über die hieraus folgenden Konsequenzen für staatliche Überprüfungsverfahren und insbesondere für eine deutsche Besonderheit, das Verfahren des § 1032 Abs. 2 ZPO, entschieden.
In der Rechtssache Komstroy hatte der EuGH entscheiden, dass Intra-EU Schiedsverfahren auf Grundlage der ECT unzulässig sind. Andere Entscheidungen des EuGH (European Food (C‑638/19 P) und Romatsa (C‑333/19)) deuteten zudem darauf hin, dass dies auch für Schiedsverfahren nach dem ICSID-Übereinkommen gelte. Schiedsgerichte gingen dagegen unter Verweis auf das self-contained regime des ICSID-Übereinkommens mehrheitlich von der Wirksamkeit von Schiedsabreden zwischen EU-Mitgliedstaaten und Investoren aus anderen Mitgliedstaaten aus. Der BGH hält die Achmea-Rechtsprechung unzweifelhaft auch für ICSID-Verfahren anwendbar und verzichtete auf eine Vorlage an den EuGH. Nach Auffassung des BGH setzt sich das Unionsrecht gegenüber Pflichten der Mitgliedstaaten aus dem ICSID-Übereinkommen durch.
Das ist aus unionsrechtlicher Sicht konsequent, wenngleich damit ein herber Rückschlag für das ICSID-Rechtsschutzsystem verbunden ist. Denn der BGH geht mit seiner Entscheidung den vom EuGH beschrittenen Weg mit, Investor-Staat-Schiedsverfahren aufgrund völkerrechtlicher Investitionsschutzabkommen zwischen EU-Mitgliedstaaten ein Ende zu bereiten. Der BGH ist sich der Tragweite der Entscheidung bewusst. Er betont, dass es sich hierbei um eine eng begrenzte Ausnahme von der grundsätzlichen Exklusivität von ICSID-Verfahren handelt.
Die von dem BGH hieraus für das deutsche Prozessrecht formulierten Konsequenzen sind nachvollziehbar. Ist das Schiedsverfahren nicht mit dem Unionsrecht vereinbar, muss ein Mitgliedstaat die Möglichkeit haben, dies spätestens im Verfahren der Vollstreckbarkeitserklärung des Schiedsspruchs vor deutschen Gerichten geltend zu machen. Es ist konsequent, die Überprüfung durch deutsche Gerichte bereits zu Beginn des Schiedsverfahrens nach § 1032 Abs. 2 ZPO zu ermöglichen.