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Aufklärungspflichtverletzung trotz Offenlegung im Datenraum? | Hengeler Mueller News
Dispute Resolution

Aufklärungspflichtverletzung trotz Offenlegung im Datenraum?

In einem aktuellen Urteil (BGH, Az. V ZR 77/22) hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) zu einer auch für Post-M&A Streitigkeiten zentralen Frage geäußert: Welche Bedeutung hat die Offenlegung von Informationen in einem Datenraum für etwaig bestehende Aufklärungspflichten des Verkäufers? 

Dem konkret vom BGH zu entscheidenden Fall lag ein Kaufvertrag über mehrere Gewerbeeinheiten in einem Gebäudekomplex zugrunde. Im Rahmen der Vertragsverhandlungen hatte die Käuferin Zugriff auf einen virtuellen Datenraum erhalten. Die Parteien schlossen den Kaufvertrag in einem Notartermin an einem Montagmorgen um 10 Uhr. Am Freitag vor dem Notartermin lud die Verkäuferin ohne gesonderten Hinweis das Protokoll einer Eigentümerversammlung in den Datenraum, dem sich das Risiko der anteiligen Belastung der Eigentümer mit einer Sonderumlage entnehmen ließ. Nachdem die Käuferin etwa ein Jahr nach Abschluss des Kaufvertrags auf anteilige Zahlung in Anspruch genommen wurde, erhob sie Klage wegen vorvertraglicher Aufklärungspflichtverletzung hinsichtlich des Risikos der Sonderumlage. 

Der BGH führt aus, dass allein das Einstellen einer Information in den Datenraum den Verkäufer nicht von seiner Pflicht entbindet, den Käufer über für die Kaufentscheidung wesentliche Tatsachen aufzuklären. Wie bereits zur Übergabe von Unterlagen entschieden (BGH, Urteil vom 12.11.2010, V ZR 181/09, NJW 2011, 1279, 1280) würden Verkäufer durch Gewährung des Zugriffs auf einen Datenraum ihrer Aufklärungspflicht nur gerecht, soweit sie im Einzelfall die berechtigte Erwartung haben dürften, dass der Käufer die zur Verfügung gestellten Informationen wahrnehmen werde. Für die Beurteilung der Verkäufererwartung im Einzelfall nennt der BGH drei relevante Kriterien: 

1.      Durchführung einer Käufer Due-Diligence:

Der Verkäufer dürfe von einem Käufer, der eine Due Diligence durchführt, eher die Durchsicht und Kenntnisnahme der zur Verfügung gestellten Unterlagen erwarten. Dies gelte umso mehr, wenn der Käufer bei Durchführung der Due Diligence durch externe Berater unterstützt werde.

 2.      Die Organisation des Datenraums:

Für eine berechtigte Erwartung, dass der Käufer eine Information im Datenraum auffinden wird, spreche ein gut organisierter und strukturierter Datenraum. Hierfür komme es unter anderem auf ein Inhaltsverzeichnis, eine Suchfunktion und Hinweise an den Käufer über die Einstellung neuer Dokumente an. Zudem stellt der BGH die zur Sichtung der Unterlagen zur Verfügung stehende Zeit sowie die Geschäftsgewandtheit des Käufers in die Abwägung ein.

 3.      Bedeutung der Information und Auffindbarkeit:

Schließlich stellt der BGH die für den Verkäufer erkennbare besondere Bedeutung einer Information für den Käufer der Auffindbarkeit dieser Information gegenüber. Der Verkäufer dürfe bei für ihn erkennbar wesentlichen Informationen "nicht sehenden Auges abwarten, ob der Käufer die nur schwer erkennbare Information aus den bereitgestellten Daten ermittelt". Da die Bedeutung der Information für den Käufer bereits die Aufklärungspflicht selbst begründet, scheint für die Hinweispflicht des Verkäufers die Abwägung gegenüber der Auffindbarkeit entscheidend zu sein. Für die Auffindbarkeit stellt der BGH wiederum auf eine berechtigte Erwartung der Durchsicht des jeweiligen Dokuments durch den Käufer und eine etwaige professionelle Beratung und Geschäftsgewandtheit des Käufers ab.

Der BGH entschied, dass die Verkäuferin ihre Aufklärungspflicht durch die Offenlegung des Protokolls im Datenraum nicht erfüllt hat. Das verneinte der BGH für den konkreten Fall bereits deshalb, weil die Käuferin auch ohne Frist für das Einstellen von Dokumenten in den Datenraum keinen Anlass gehabt habe, vor dem Notartermin am Montagmorgen noch einmal Einsicht in den Datenraum zu nehmen. Die Verkäuferin durfte daher keine berechtigte Erwartung haben, dass die Käuferin von diesem Dokument Kenntnis nehmen würde.

Die Entscheidung des BGH ist eine konsequente Fortsetzung der allgemeinen Grundsätze zu Aufklärungspflichten in Transaktionen und der bisherigen Rechtsprechung zur Übergabe von Unterlagen. Maßgeblich bleibt, ob durch die Offenlegung nach den Umständen des Einzelfalls eine Informationsasymmetrie zwischen den Parteien behoben wurde. Der BGH formulierte jedoch erstmals konkrete Kriterien für Offenlegungen in einem Datenraum, die auch für M&A-Transaktionen von Bedeutung sein dürften. Mit seinen Ausführungen zur Organisation des Datenraums und der Auffindbarkeit von Informationen geht der BGH über das hinaus, was zur Entscheidung des konkreten Falles erforderlich gewesen wäre. Es scheint, als habe der BGH die Gelegenheit nutzen wollen, um auch Verkäufern in größeren Unternehmenstransaktionen Leitlinien für die Verwendung von Datenräumen an die Hand zu geben. Gelegenheit zur Entscheidung über Post-M&A-Streitigkeiten hat der BGH wegen der hier häufig geführten Schiedsverfahren nur selten.

Für High-End M&A-Transaktionen dürften sich die praktischen Auswirkungen des Urteils in Grenzen halten. Eine deutliche Verschärfung der Aufklärungspflichten eines Verkäufers in der Transaktion ist der Entscheidung nicht zu entnehmen. Gemessen an den vom BGH definierten Kriterien dürfte der Sachverhalt einer Unternehmenstransaktion mit einem geschäftsgewandten, professionell beratenen Käufer hinsichtlich der Verkäufererwartung an die Kenntnisnahme von offengelegten Dokumenten auch gänzlich anders zu bewerten sein. Dennoch wird in der Praxis zukünftig zu erwarten sein, dass Vereinbarungen zwischen den Parteien zu den Modalitäten der Due Diligence, wie etwa Cut-Offs hinsichtlich des Hochladens von Dokumenten von höherer Relevanz sein werden.

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